Vereinzelung und Vergesellschaftung

Vereinzelung und Vergesellschaftung

Wie jede Therorie basiert auch die Theorie der Trauererziehung auf Grundannahmen. In diesem Aufsatz beschreibe ich die menschliche Dimension der Vereinzelung und Vergesellschaftung des Menschen.

Die Geburt –  Aus dem All in die Vereinzelung und Vergesellschaftung des Menschen

Bei der Geburt tritt der Mensch aus dem All heraus und findet sich in Gemeinschaft wieder. In ihr  wird er sich seines Alleinseins bewusst wird, indem die primäre Erfahrung alles zu sein, was innerhalb des mütterlichen Kosmos existiert mit der Zeit durch die Erkenntnis abgelöst wird, nur das zu sein, was alles andere auf der Welt nicht ist, nämlich er selbst. Diese Erkenntnis geht auf die, sein Überleben sichernden, frühesten Begegnungen und den damit verbundenen Erfahungen innerhalb der ersten Lebensjahre zurück. Sie erneuert sich in jeder weiteren Begegnung in der Dialektik von Vereinzelung und Vergesellschaftung, die den Menschen als Einzel- und Gesellschaftswesen erscheinen lässt.

Die Bewusstwerdung des Menschen

Die Fähigkeit des Menschen in Beziehung zu treten, konstituiert das Menschsein insofern, als der Mensch durch Beziehung, sich selbst als Mensch zu begreifen beginnt. In der Abfolge von Beziehung und Beziehungslosigkeit erkennt sich der Mensch mit der Zeit als den gleichbleibende Partner. In der Folge wird sich der Mensch nicht nur seiner selbst, sondern auch seiner erfahrbaren Umwelt bewusst. Nachdem diese Trennung erfolgt ist, entwickelt der Mensch die Möglichkeit sowohl über sich als auch über die sinnliche Welt im Lichte des Ichbewusstseins nachzudenken. So kommt er zu gewissen Vorstellungen bezüglich seiner selbst und der Welt, in der er lebt.

Was bedeutet dies nun bezogen auf die Ichwerdung des Menschen?

Der Mensch nimmt seine Umwelt schon im Mutterleitb beginnend über die Sinne auf, indem er sie fühlt, riecht, hört, schmeckt und sieht. Er differentziert dieses Fähigkeit nach der Geburt im Umgang mit den umliegenden Objekten.

Erst dadadurch, dass er sich seiner selbst bewusst wird, kommt es zu einer Unterscheidung seiner selbst und dem erfahrbaren Anderen. Dieses Selbstbewusstsein erlangt der Mensch jedoch nicht alleine über diese Sinnererfahrungen, sondern durch die Abfolge von Beziehung und Beziehungslosigkeit.

Das Kind erlebt sich als den Mittelpunkt der Welt. Erst die Möglichkeit eines phantasierten bzw. tatsächlichen gemeinsamen Erlebens derselben Wirklichkeit und das Heraustreten aus dieser Wirklichkeit ermöglicht ihm, sich seiner selbst bewusst zu werden, indem er sich als den die Zeit überdauernden beständigen Partner erkennt.

Ur- und Abbild als Verhältnis von Vereinzelung und Vergesellschaftung des Menschen

Die Begegnung verbindet und trennt den Menschen, was schließlich dazu führt, dass der Mensch sowohl als Einzelner als auch als Gesellschaftswesen erscheint. Das Verhältnis von Einzelnem und Gesellschaft bestimmt sich im wechselseitigen Wirkungsprinzip von Ur- und Abbild.

Wie verhalten sich der einzelne Mensch und die Gesellschaft zu einander?

 

Das Verhältnis von Einzelnem und Gesellschaft stellt sich als wechselseitiges Wirkungprinzip dar, was bedeutet, dass einerseits der Einzelne als Ursache für Veränderungen innerhalb der Gesellschaft gesehen werden kann und umgekehrt die Gesellschaft Veränderungen beim Einzelnen verursachen kann.

Je nachdem welches Wirkungsprinzip in den Blick genommen wird, ergibt sich so einerseits der vergesellschaftete Mensch, andererseits der vereinzelte Mensch.

Gesellschaft entsteht, indem sich Menschen gewahr werden und sich in diesem Gewahrwerden sowohl Ursache als auch Wirkung sind, was den Menschen in seiner Vereinzelung und Vergesellschaftung erst zu jenem Ur- und Abbild werden lässt.

Die Begegunung vereinzelt und verbindet den Menschen. Sie vereinzelt ihn, weil er durch sie erfährt, dass er einer unter anderen ist. Sie verbindet ihn, indem er durch sie erfährt, dass er einer unter potentiell Gleichen ist. Wenn der Mensch in der Reflexion erkennt, dass er einer unter anderen ist, wird er sich seiner selbst gewahr und meint Ich. Wenn er sich in Beziehung stehend erkennt, dass er einer unter potentiell Gleichen ist, wird er ich seiner Mitmenschen gewahr und meint Wir.

Das Ich verweist auf das Trennende und führt zur Vereinzelung. Das Wir verweist auf das Verbindende und führt zur Vergesellschaftung.

Die Bedeutung der Begegnung für die Vereinzelung und Vergesellschaftung des Menschen

In der Begegnung treffen Menschen aufeinander, die sich wechselseitig meinen. So entsteht das Wir.

Das Wir meint nicht den einen ohne den anderen. Es meint nicht den einen der sich selbstvergessen im anderen findet, während sich der andere selbstvergessen in ihm findet – sie wären ja in ihrer Selbstvergesenheit im anderen wieder allein.

Begegnung meint ein Ich, das sich eines anderen Ich gewahr wird, während das andere Ich sich des einen Ich gewahr wird. Indem sie sich gewahr werden, überwinden sie für kurze Zeit das Alleinsein und finden sich in Gesellschaft wieder.

In der Vereinzelnung tritt der Mensch aus der Begegnung heraus. Er wird sich seiner selbst in sich gewahr, ohne dass er einen anderen meint oder ein anderer ihn meint. Er ist zurückgeworfen auf sich selbst als ein Ich unter anderen.

Indem der Mensch sich selbst gewahr wird, überwindet er die Gesellschaft und findet sich in der Vereinezlung. Was bleibt, ist die aus der Erfahrung resutierende Vorstellung vom Ich eines anderen als Möglichkeit, die Vereinzelung zu überwinden.

Das Verhältnis von Einzelnem und Gesellschaft

In der Vereinzelung ist der Mensch in der Gesellschaft, aber er ist nicht Teil von ihr. In der Begegung ist der Mensch teil der Gesellschaft, aber er ist nicht in ihr.

Der vereinzelte Mensch ist ein in sich geschlossenes, ganzes Wesen, abgegrenzt von allen anderen und dadurch in und durch sich beschränkt. Er repräsentiert sich selbst als Einzelwesen.

Der vergesellschaftete Mensch hingegen ist nur ein Teil eines Ganzen, dafür potentiell erweitert um den anderen. Er repräsentiert sich und potetiell anderen als Gesellschaftsswesen.

Aufgrund der Möglichkeit in Beziehung zu treten, tritt der Mensch aus unterschiedliche Art und Weise in Erscheinung – einmal in Form eines Einzelswesens, einmal in Form eines Gesellschaftswesens. Die Grenzen sind jedoch fließend, denn der Mensch ist nicht einmal eine Einzelwesen und ein anderes Mal ein Gesellschaftswesen, auch wenn es uns so erscheint.

Menschsein vereint unter sich, ein Einzelner zu sein, der jederzeit aus der Vereinzelung heraus in Beziehung treten kann. Vereinezlung und Vergesellschaftung sind somit zwei Erscheinungsformen derselben hier vorausgesetzten Wirklichkeit Mensch, konstituiert durch die menschliche Fähigkeit der Begegnung.

Das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Einzelnen bestimmt sich im Verhältnis von Ur- und Abbild und wird so zur Voraussetzung jedes Bildungsprozesses.

 

Innerhalb dieses Abschnitts wurde die erste von vier Dimensionen des Menschlichen skiziiert, die insgesamt das Menschenbild der Theorie der Trauererziehung beschreibt, nämlich die Dimension der  Vereinzelung und der Vergesellschaftung des Menschen.  Vorerst wurde der Mensch auf  Grund seiner Fähigkeiten in Begegnung zu treten und Erfahrungen zu machen, als beziehungsfähiges, reflektierendes und somit geschichtliches Wesen erkannt. In der Folge wurde das Verhältnis von Einzel- und Gesellschaftswesen diskutiert und erkannt, dass das Verhältnis von Ur- und Abbild Voraussetzung jedes Bildungsprozesses ist.

Das führt uns unweigerlich zur zweiten Grundannahme über den Menschen, nämlich:

  • Die Dimension der Verlusterfahrung

Im folgendem Blogarktikel werden wir ausgehend vom Urverlust des menschlichen Lebens, die für die Trauererziehung wesentlichen Begriffe „Verlust“ und „Verlusterfahrung“ klären.

Hier geht es zum vorigen Beitrag:

Weshalb Trauererziehung?

Quelle:

HOLLOWAY, Irene: Spielend trauern. Einführung in die Theorie und Praxis der Trauererziehung. Dissertation. Wien 2003