Wie jede Therorie basiert auch die Theorie der Trauererziehung auf Grundannahmen. In diesem Aufsatz beschreibe ich einerseits, wie es dazu kam, Trauererziehung zu beforschen. Andererseits gebe ich erste Einblicke in das Menschenbild, das der Trauererziehung zugrunde liegt.
Trauererziehung als pädagogisches Handlungsfeld
In der praktischen Arbeit mit Halbwaisen und Scheidungswaisen beobachtete ich mit Staunen, dass Kinder, welche die Fähigkeit besaßen, ihre Verlusterfahrungen, und die damit verbundenen Vorstellungen und Gefühle abseits der vorgegebenen pädagogischen Strukturen, in spontanten Spielsituationen aufzugreifen, weit bessere „Fortschritte“ in der Bewältigung der Verlusterfahrung zu machen schienen, als diejenigen, die brav und angepasst, an vorgegebenen Aktivitäten teilnahmen.
Dies führte dazu, dass ich mich intensiv für die Zusammenhänge von Trauer und spontan spielerisch-gestalterischem Verhalten zu interessieren begann und die gewonnenen Erkentnisse direkt in meine praktische Arbeit einfließen ließ.
Während die positive Wirkung spielerisch-gestalterischen Verhaltens für Trauernde innerhalb der Literatur einen breiten Konsens findet, besteht hinsichtlich des Wesens der Trauer ein Dissens. Trauer wird einerseits als Fähigkeit, andererseits als psychische Krankheit beschrieben.
Ich kam zu dem Schluss, dass die zunehmend kollektive Verarmung an Trauerfähigkeit, die medizinisch-psychoanlytische Sichtweise von Trauer, der zu Folge es sich bei der Trauer um ein psychische Krankheit handelt und dementsprechend behandelt werden muss, begünstigt.
So entstand der Wunsch Erziehung zur Trauer als pädagogisches Betätigungsfeld zu erschließen.
In den letzten beiden Jahrzehnten habe ich unzählige Trauerende begleitet. Die Erfahrung lehrt mich, dass Erziehung zur Trauerfähigkeit aktueller ist, denn je.
Vorstellungen über den Menschen
Hinter dem Wunsch Erziehung zur Trauer als pädagogisches Feld zu erschließen, verbergen sich spezifische Vorstellungen daürber, was der Mensch sei und können müsse. Konkret stellt sich die Frage:
Wer ist der Mensch, dass er der Erziehung zur Trauer bedarf?
Wer ist der Mensch, dass er der Erziehung zur Trauer bedarf?
Seit jeher beschäftigt sich die Philosophie mit der Frage, ob Erkenntnisse über den Menschen durch den Menschen selbst überhaupt möglich sind. Immerhin steht er zu sich selbst nicht im Abstand eines neutralen Beobachters (vgl. FISCHER, 1980).
Im Rahmen der Trauererziehung wird davon ausgegangen, dass der Mensch als sich selbst denkendes Wesen, sich in der Fragestellung, was der Mensch sei, unweigerlich selbst Antwort geben kann, möchte er nicht auf der Stufe der rein empirischen Betrachtungsweise verharren. Was bedeutet, dass es ihm möglich ist, den Menschen auf eine Art und Weise zu erfassen, wie kein anderes „Untersuchungsobjekt“ – rein empirisch oder spezifisch menschlich. Denn während er auf die Frage: „Wie ist es, ein Baum zu sein?“, nicht antworten kann, vermag er auf die Frage: „Wie ist es, ein Mensch zu sein?“, insofern zu antworten als er sich selbst als Antwort geben kann.
Ganzheitlich erfassen, so eine weitere Grundannahme der Trauererziehung, lässt sich der Mensch durch die über ihn getroffenen Aussagen jedoch nicht.
Sprache ermöglicht die Beschreibung einer von ihr unabhängigen Wirklichkeit, die sie begrifflich und daher allgemein-fragmentarisch erfasst. Daher wird die Frage nach dem Wesen des Menschen umformuliert. Die Frage, die sich stellt, lautet: „Wer ist der Mensch, dass er der Trauererziehung bedarf?
Beantwortet wird diese Frage, indem vier als wesentlich erachtete Dimensionen des menschlichen skizziert werden.
- Die Dimension der Vereinzelung und Vergesellschaftung des Menschen
- Die Dimension der Verlusterfahrung
- Die Dimension der Freiheit
- Die Dimension der Identität
In den folgenden Blogarktikeln werden die einzelnen Dimensionen diskutiert.
Quelle:
HOLLOWAY, Irene: Spielend trauern. Einführung in die Theorie und Praxis der Trauererziehung. Dissertation. Wien 2003